Geschichten

Schatten | Du bist nicht allein

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BAD GUY dröhnt aus den Boxen des abgeranzten Clubs, der in einem jener Viertel der Stadt liegt, vor dem dich deine Eltern schon immer gewarnt haben. Vanessa ist das in diesem Augenblick vollkommen egal. Ekstatisch bewegt sie ihren schlanken, wohlproportionierten Körper zu den fetten Synthesizer Bässen des Club Remixes. »So you’re a tough guy
Like it really rough guy. Just can’t get enough guy.« Sie fühlt sich gut, sie fühlt sich sexy. Vanessa ist in ihrem Element.
Es ist fast 5 Uhr morgens, aber die Nacht nimmt noch kein Ende. Nicht heute, nicht hier und nicht für sie. Dafür haben schon ihre kleinen Freunde in Pillenform gesorgt.
Ihre Freundinnen haben sich nach und nach verabschiedet. Sie ist jetzt allein. Aber sie will nur tanzen, tanzen, tanzen. Den Typen da hinten an der Ecke, der sie schon seit Stunden beobachtet, ignoriert sie. Genauso wie ihren Ex, der heute schon mehrfach »nur ein letztes Mal« mit ihr sprechen wollte. Was für eine tolle Idee – in einem Club.
Da sind die beiden hübschen Kerle auf der Tanzfläche neben ihr schon deutlich interessanter. Irgendwie süß. Und sie können sich verdammt gut bewegen. Sind sicher gut im Bett. Ob sie schwul sind? Möglich. Vielleicht hat Vanessa später noch Lust auf Sex. Dann wird sie es herausfinden.

Doch es kommt. Alles anders

Nur langsam kommt Vanessa zu sich. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie weiß auch nicht, wie viel Zeit vergangen ist. »Was zur Hölle…«
Verzweifelt versucht sie sich zu erinnern.
Waren da nicht die hellen Lichter eines Autos, das direkt auf sie zusteuerte? Oder waren es doch die Drogen? Oder bildet sie sich alles nur sein.
Nur ganz langsam gewöhnen sich ihre Augen ans fehlende Licht. Sie blinzelt nach rechts und sieht …
Ihre Schuhe akkurat nebeneinander auf der Sitzfläche eines alten Holzstuhls. Nur wenige Zentimeter entfernt vor einer gräulichen Wand. Sie blinzelt nochmal …
Jemand hat ihre durchgetanzten Kleider, als Shirt und Pants, einen Slip trug sie nicht, fein säuberlich über die Lehne drapiert.
Vanessa hebt leicht ihren Kopf und blickt an sich herunter. Über die wie immer leicht aufgerichteten Brustwarzen bis zu ihren Füßen: sie ist komplett nackt.
Und dann wird ihr plötzlich klar, was hier ganz und gar nicht stimmt: sie kann sich nicht mehr bewegen – bis auf ihren Kopf.
Ungläubigkeit. Vanessa konzentriert sich, versucht mit den Zehen zu wackeln. Nichts. Sie nimmt nochmal alle Kraft zusammen. »Los, kommt schon« Aber es bewegt sich gar nichts – nicht einmal der kleine Zeh. Auch beide Arme – leblos auf den weißen Laken. Keine Chance irgendwas zu bewegen. »Fuck. Fuck. Fuck«, Panik steigt in ihr auf. Irgendetwas ist mit ihr passiert. Und das ist gar nicht gut.

Flashback. Der Ex

Sie kann sich dran erinnern, dass sie ihre kleine Wohnung in dem anonymen Wohnblock, in dem sie erst seit kurzer Zeit wohnt, verlassen hat, um Feiern zu gehen. Sie weiß auch noch, dass sie sich vormittags furchtbar mit ihrem Ex gestritten hat. Joel ist extrem eifersüchtig, das war auch der Grund ihrer Trennung vor einigen Wochen. Trotzdem hatte sie es nicht geschafft, den Kontakt ganz abzubrechen. Irgendwie kreuzten sich ihre Wege immer wieder und jedes Mal eskalierte das Aufeinandertreffen. Der Typ ist eindeutig krank. Bei diesem Gedanken wird ihr schlecht. Steckt er etwa hinter der ganzen Sache? Ist er schuld an ihrer Situation? Vanessa versucht ruhig zu atmen und nicht in Panik zu verfallen.
Inzwischen haben sich ihre Augen etwas besser an die Dunkelheit gewöhnt. Viel kann sie im Zwielicht nicht erkennen. Ein karger Raum, keine Fenster. Wahrscheinlich irgendwo ein Keller oder sogar alter Bunker. Vielleicht auch eine Garage. Sie kann es nicht genau sagen. Sie weiß auch nicht, ob es Tag oder Nacht ist, aber was spielt das jetzt in ihrer Situation auch für eine Rolle.

Ich bin. Eine Schlampe

Dann läuft es ihr eiskalt den Rücken runter. »Ich bin Vanessa und ich bin eine Schlampe« Das ausgeblichene Graffiti an der grauen Wand ist kaum zu lesen, es sieht so aus, als sei es schon Jahre alt. Oder ist es nur das schlechte Licht. Vanessa weiß es nicht, allerdings schnürt sich ihr die Kehle immer weiter zu. Sie ist kein Zufallsopfer. Irgendjemand hat sie offensichtlich mit voller Absicht hierhergebracht. Gut, sie ist kein Kind von Traurigkeit, aber sie hatte jetzt auch nicht mehr oder weniger Männer als viele Girls in ihrem Alter. Jedenfalls nicht viel mehr. Und eine ihrer besten Freundinnen hatte sogar noch deutlich mehr Typen als sie. Warum liegt die also nicht hier? «Ruhig bleiben, das hilft dir jetzt auch nicht weiter«, ruft sie sich selbst zur Räson. Weiter rattert es in ihrem Kopf. Hat sie irgendjemanden verletzt? Hat sie jemandem das Herz gebrochen? Oder vielleicht einer anderen Frau den Typen ausgespannt? Sie kann es nicht ausschließen, allerdings fällt ihr bis auf ihren Ex jetzt auch niemand zwingend ein. Joel, warum tust du mir das an? Was willst du von mir? Allerdings hat er mich nie Vanessa genannt. Und Schlampe ist auch nicht wirklich sein Sprachgebrauch. Vanessa weiß allerdings nicht, ob sie aufgrund dieser Gedanken eher erleichtert und noch beunruhigter sein sollte, als …
… sie plötzlich einen SCHATTEN vorbeihuschen sieht.
In ihrer Verzweiflung will sie laut schreien, aber aus ihrer trockenen Kehle kommt kein Laut. Sie weiß, dass sie dieser Situation hilflos ausgeliefert ist. Sie liegt hier völlig wehrlos, kann weder kämpfen noch weglaufen.
Plötzlich ein metallenes Geräusch, dass ihr durch Mark und Bein geht. Der schwere Riegel wird zur Seite geschoben. Sie hält sie Luft an, als sich ganz langsam die schwere Tür öffnet.
Das Herz von Vanessa schlägt bis zum Hals…

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Fortsetzung folgt -> Teil 2 [Schatten | Du gehörst jetzt mir] gibt es in wenigen Tagen.

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